Thesen und Forderungen des Darmstädter Friedensbündnisses
- Die USA haben unter Trump einen Strategiewechsel vollzogen und wollen den Stellvertreterkrieg zur Schwächung Russlands nicht mehr weiterführen. Als Motive für diese Entscheidung erscheinen plausibel
(a) die Verlagerung der militärischen und politischen Ressourcen auf die Rivalität mit China und den Krisenherd im Nahen Osten,
(b) ein wirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel von der neoliberalen Hyperverschuldung hin zu einer staatlich kontrollierten und gelenkten Ausgaben- und Einnahmenpolitik und
(c) der Wunsch, sich rechtzeitig von dem verlorenen Krieg zu distanzieren, um nicht als Verlierer dazustehen. - Das Darmstädter Friedensbündnis begrüßt diese eventuelle Wendung im Ukrainekrieg unabhängig von deren Motiven, sofern sie die Chance eröffnet, das Gemetzel bald zu beenden. Dadurch könnte sich auch die unmittelbare Gefahr einer weltweiten Eskalation verringern.
- Das Handeln der USA bestätigt die Position der Friedensbewegung, dass es sich um einen Stellvertreterkrieg handelt. Wir weisen die infame Behauptung Trumps zurück, dass dieser Krieg maßgeblich von der Ukraine ausgegangen sei. Die an der Konfrontation mit Russland interessierten Parteien in der Ukraine wurden vom Westen und insbesondere der USA unterstützt. Die Entstehung des Bürgerkriegs in der Ukraine wurde gefördert, die Ukraine aufgerüstet und zu einer offensiven Haltung gegen Russland ermutigt. Die anfänglichen Versuche, durch Waffenstillstandsverhandlungen den Konflikt zu befrieden, wurden sabotiert. Gleichermaßen zu verurteilen ist der von den russischen geopolitischen Interessen motivierte Überfall Russlands auf die Ukraine, der den nunmehr drei Jahre andauernden russisch-ukrainischen Krieg entfacht hat.
- Die aktuell eingebrachte Forderung der USA, die us-amerikanische Unterstützung des Kriegs müsse durch die Ausbeutung der ukrainischen Rohstoffe bezahlt werden, ist tyrannisch und rücksichtslos. Das geschundene Land wird so seiner eigenen Mittel für den Wiederaufbau beraubt. Nachdem die USA (zusammen mit anderen NATO-Staaten) die Ukraine für ihre Interessen in den Krieg getrieben haben, treiben sie das Armenhaus Europas nun in eine dauerhafte tiefe Verarmung.
- Insgesamt ist die Außenpolitik von Trump keineswegs friedlicher als die seiner Vorgänger. Dies zeigt sich an den territorialen Forderungen gegen verbündete Staaten und an der offenen Missachtung der Souveränität Panamas. Am schwersten wiegt ihre militärische und politische Unterstützung der israelischen Regierung, den Genozid an den Palästinensern in Gaza zu vollenden und sich das zerstörte Gebiet einzuverleiben. Die dadurch verschärfte Instabilität in der gesamten Region bereitet den Boden für weitere Kriege vor und behindert die Entstehung von politischer Gegenmacht in der arabischen Welt.
- Die europäischen Kernstaaten befinden sich in einer politischen Sackgasse. Sie sind gefangen in ihrer haltlosen Propaganda, dass durch eine Niederlage der Ukraine der Weg für den Einmarsch Russlands nach Europa frei werde. Außerdem wäre das Einschwenken auf einen Verhandlungskompromiss ein erheblicher Gesichtsverlust. Deshalb wollen die maßgeblichen Staaten Europas den Krieg auch ohne us-amerikanische Unterstützung am Laufen halten. Dies wird letztendlich nicht zum gewünschten Erfolg führen, aber weitere Opfer in Form von Menschenleben kosten, finanzielle Ressourcen verschlingen und die Gräben für eine künftige Annäherung an Russland vertiefen. Dies ist geopolitisch im Interesse der USA, aber nicht Europas.
- Der zugespitzte militaristische Diskurs, der die mediale Öffentlichkeit in Deutschland und anderen europäischen Staaten ergriffen hat, wird dazu genutzt, die Militarisierung politisch und mental voranzutreiben. Eine wahnwitzige Aufrüstung soll durchgesetzt werden. Die deutschen Militärausgaben sollen verdoppelt bis verdreifacht werden und über 20% des Bundeshaushalts verschlingen. Anders als propagiert wird geht es nicht darum, die westlichen Werte und Freiheiten eigenständiger als bisher gegen die imperialistischen Zentren USA, Russland und China zu verteidigen. Das Ziel ist vielmehr, dass sich (Kern-)Europa künftig besser als eigenständige imperiale Macht bei der Verteilung von Märkten und Rohstoffen durchsetzen kann. Es ist allerdings sehr fraglich, ob dies bei fortbestehender militärischer, wirtschaftlicher und politischer Abhängigkeit von den USA, mit weitgehender Unversöhnlichkeit gegenüber dem Nachbarn Russland, mit einem ideologisch aufgeladenen Feindbild China und bei der aktuellen politischen Zerrissenheit der EU möglich ist.
- Den europäischen Staaten scheint der Wille und die Fähigkeit zur Diplomatie komplett abhandengekommen zu sein. Noch vor wenigen Jahren war die Idee verbreitet, Deutschland könne in internationalen Konflikten bei militärischer Zurückhaltung eine vermittelnde Rolle einnehmen und der auf militärischer Stärke basierenden Machtpolitik der USA eine friedensstiftende Strategie entgegensetzen. Davon ist unter einem sozialdemokratischen Kanzler und einer grünen Außenministerin nichts übrig geblieben.
- In Folge der Entkolonisierung und des wirtschaftlichen und politischen Aufstiegs insbesondere der asiatischen Länder bildet sich eine multipolare geopolitische Struktur heraus, wodurch sich die Macht der USA und der EU vermindert. Dieser Wandel entspricht dem berechtigten Interesse der zuvor abhängigen und kolonisierten Länder und ist unausweichlich. Wenn die westlichen Staaten nun mit Aufrüstung und militärischen Interventionen ihre Vormachtstellung zu verteidigen suchen, dann erhöht sich nicht nur weltweit die Kriegsgefahr. Dadurch werden den Staaten der Welt auch die Ressourcen fehlen, um die globale Armut zu verringern und den durch die Aufrüstung verstärkten, bedrohlichen Klimawandel zu stoppen. Diese sich gegenseitig vorantreibenden Krisen gehen zunächst und vor allem zu Lasten der armen Länder und der ärmeren Bevölkerungsteile in den westlichen Staaten.
- Die enormen, kreditfinanzierten Militärausgaben in Form eines „Rüstungskeynesianismus“ werden die Wirtschaft in Deutschland möglicherweise zwar kurzfristig, aber nicht nachhaltig beleben. Die unproduktive Rüstungsorgie wird am Ende den gesellschaftlichen Wohlstand verringern. In dem Maße wie sich die grundlegenden Bedürfnisse nach sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit für breite Schichten nicht mehr erfüllen lassen, wird das Parteiensystem in Deutschland weiter erodieren. Die bürgerlich-liberalen und sozialdemokratischen Parteien schwächen sich selbst mit ihrer ungebremsten Aufrüstungspolitik, indem sie sich der Mittel berauben, ihre sozialen und klimapolitischen Versprechen einzulösen. Es ist zu befürchten dass die AfD und andere rechtsextreme Kräfte davon profitieren, obwohl sie selbst für Aufrüstung trommeln. Auch die bewusstseinsmäßige Vorbereitung der Bevölkerung auf einen drohenden Krieg durch die Medien, die Bundesregierung, die ihr applaudierenden Parteien und die Bundeswehr werden den Rechtsruck innerhalb der Gesellschaft verstärken. Antifaschistische Proteste ohne die Veränderung sozialer Realitäten werden diesen Prozess bestenfalls abschwächen, aber nicht aufhalten können.
Aus dieser Analyse leitet das Darmstädter Friedensbündnis die folgenden Forderungen ab:
- Europa muss den Weg freimachen für einen sofortigen Waffenstillstand und für die Beendigung des Krieges durch Verhandlungen ohne Maximalforderungen. Bei diesen Verhandlungen ginge es um die Festschreibung der Neutralität der Ukraine gegen Sicherheit und um die Gewährleistung ihrer territorialen Souveränität. Durch die Einbeziehung neutraler Staaten wie China oder Brasilien in diese Verhandlungen könnte die Dominanz us-amerikanischer Interessen in den Verhandlungen geschwächt werden.
- Statt Ausplünderung durch ihre „Freunde“ braucht die Ukraine einen Schuldenschnitt und finanzielle Unterstützung für den Wiederaufbau. Die EU muss zeigen, dass es ihr wirklich um die Interessen des Landes und seiner Bevölkerung geht.
- Um dem Ziel einer friedlicheren Welt näher zu kommen und um gleichzeitig seine geopolitischen Interessen zu wahren, muss Europa auf Diplomatie und auf Interessensausgleich mit Russland setzen. Der unmittelbare erste Schritt hierzu besteht in dem Verzicht auf Stationierung der us-amerikanischen Mittelstreckenraketen in Deutschland.
- Die wirtschaftlichen Beziehungen und der kulturelle Austausch mit Russland müssen wieder aufgenommen, die Russophobie in Politik und Medien muss durchbrochen werden.
- Schluss mit den Aufrüstungsplänen und der Militarisierung der deutschen Gesellschaft! Die Militärdoktrin muss auf Verteidigungsfähigkeit anstatt auf Kriegstüchtigkeit, auf Diplomatie anstatt militärische Stärke ausgerichtet werden. Atomwaffen werden geächtet und der Atomwaffenverbotsvertrag der UN wird unterzeichnet.
- Anstatt auf Kosten des Wohlstands und der sozialen Sicherheit der Bevölkerungsmehrheit einen weiteren imperialistischen Pol aufzubauen, muss sich Deutschland für einen friedlichen und solidarischen Weg in eine multipolare Welt einsetzen. Die Logik der Konkurrenz in den internationalen Beziehungen, die der Bereicherung des Kapitals und der Besserstellung der Menschen in den militärisch-ökonomischen Zentren dient, führt offensichtlich ins Verderben. Sie ist umzustellen auf eine Logik der Kooperation zum Wohle der Menschheit.